Donnerstag, 21. November 2013
Alle Jahre wieder...
Es war im letzten Jahr auf einem Weihnachtsmarkt. Das ganze Jahr über hatte ich mich schon auf kalte Temperaturen gefreut. Nicht, dass ich es gerne kalt habe. Weit gefehlt. Eigentlich liebe ich es sommerlich warm. Aber Glühwein schmeckt nun mal erst, wenn es kalt ist. Manche freuen sich eben auf die Spargelsaison, ich freue mich auf die Weihnachtsmarkt-Glühwein-Saison.
Ich stand also am Glühweinstand und genoss das zweite oder dritte wohlschmeckende Heißgetränk, als sich jemand neben mich stellte, einen Glühwein bestellte und laut aufseufzte.
Es – anders kann ich es nicht ausdrücken, denn in meiner Erinnerung fehlt völlig jegliche Wahrnehmung dieses...Wesens...als Mann oder Frau - strahlte etwas sehr Liebevolles und gleichzeitig etwas sehr Trauriges aus.
Da ich meinen Blick nicht abwenden konnte, schaute Es mich irgendwann auch an, direkt in die Augen.
„Andy“, sagte ich, weil ich das Gefühl hatte, ich müsste mich vorstellen.
„Ich weiß“, sagte Es.
„Aha“, sagte ich und wandte mich etwas ab, bei mir denkend, dass da wohl jemand schon etwas mehr Glühwein als ich hatte.
„Ich wünschte, es wäre so“, erwiderte Es auf meinen Gedanken hin.
Verwundert und leicht verwirrt blickte ich Es an und fragte mich, ob Es tatsächlich gerade auf einen Gedanken von mir geantwortet hatte. Es blickte in meine Augen und nickte. Und auf meinen nächsten Gedanken, der „Wer ist das?“ lautete, antwortete Es ebenfalls.
„Du kennst mich wohl am besten als ‚Christkind‘ oder ‚Geist der Weihnacht‘.“
Ich schaute in meine Glühweintasse und dann zum Glühweinwirt, der von der ganzen Unterhaltung verständlicherweise nicht viel mitbekommen hatte. Deshalb fragte er mich auf meinen Blick hin nur: „Noch einen?“
Ich nickte und bekam einen weiteren Glühwein.
„Weißt du“, sagte Es, „ich bin bei den Menschen irgendwie in Vergessenheit geraten. Früher schenkte man nicht nach materiellem Wert, sondern danach, was das Herz des anderen erfreut. Man zeigte sich, dass man aneinander denkt, füreinander da ist. Nicht Geld oder leere Traditionen, sondern Liebe sollte das sein, was Weihnachten erfüllt.“
„Da hast du wohl Recht“, pflichtete ich dem Geist der Weihnacht bei. Was hätte ich auch sonst sagen sollen?
„Weihnachten ist ein Fest der Onlinewarenhäuser, der Neuerscheinungen und der technischen Haushaltsaufrüstung geworden“, sagte Es traurig. „Was recht dumm ist“, sagte Es fester, „denn wer mit Herz und Liebe schenkt, beschenkt immer auch sich selbst.“
Ich nickte. Da war wohl was dran.
„Ich denke“, sagte ich, „die Menschen werden schon wieder zum wahren Geist der Weihnacht zurückfinden.“
Es lächelte mich an, sagte „Gott segne Dich“, drehte sich um und verschwand in der Menge.
„Hey“, rief der Wirt, „dein Kumpel hat nicht bezahlt.“
„Kein Problem, ich hab ihn eingeladen, ich bezahle.“

Dieses Weihnachten begab es sich, dass ich das schönste Weihnachten meines bisherigen Lebens feiern konnte, mit Menschen, die ich liebe und die mich lieben. Es gab keine großen Geschenke, aber sehr viel Liebe und Freude.
Als ich in die Küche ging, um die Ente aus dem Ofen zu holen, stand plötzlich Es neben mir.
„Frohe Weihnachten“, sagte Es.
„Frohe Weihnachten!“
„Gefällt dir dein Geschenk?“
„Ja“, sagte ich, „sehr.“
„Gern geschehen. Danke für den Glühwein.“
Und dann war Es verschwunden.
Vorher hatte Es uns das größte Geschenk gemacht, das man bekommen kann.
Liebe. Sie erfüllte uns nicht nur für die restlichen Feiertage, sondern auch darüber hinaus. Und auch in diesem Jahr werde ich den Geist der Weihnacht wieder auf einen Glühwein einladen. Andreas Lauer

... comment